Abschnittsübersicht

    • Mit dieser Lernpostkarte lernst Du die Grundlagen der systemischen Haltung und systemische Fragetechniken kennen, um Beratungsgespräche effektiver und zielführender zu gestalten.

      1. Systemische Haltungen

      Systemische Beratung basiert auf verschiedenen Haltungen, die Offenheit, Respekt und ein tieferes Verständnis für Zusammenhänge im Beratungskontext fördern. Die Haltungen umfassen u.a. Akzeptanz, Perspektivwechsel, klare Rollendefinition und das Vertrauen in die Ressourcen der Klient*innen. Diese Haltungen helfen Berater*innen, professionelle Distanz zu wahren und Verantwortung im Klient*innen-System zu belassen, um nachhaltige Veränderungen anzustoßen.

      2. Systemische Fragen

      Systemische Fragen sind eine wichtige Methode, um den Beratungsprozess zu strukturieren und Klient*innen zur Reflexion anzuregen. Die Fragen umfassen Themen wie Motivation zur Veränderung, Erfolgskriterien und mögliche nächste Schritte. Sie helfen dabei, Perspektivwechsel zu fördern, den aktuellen Stand zu erfassen und konkrete Handlungen zu planen.


      3. Anwendungsszenarien

      Zwei beispielhafte Szenarien zeigen, wie die systemische Haltung und Fragen in der Praxis angewendet werden können. In einem Kontext der Entwicklungszusammenarbeit führst Du Beratungen durch, um bestehende Herausforderungen und Veränderungspotenziale aufzuzeigen. Die Szenarien bieten praktische Beispiele und dienen als Inspiration für die Anwendung systemischer Beratungskompetenz in Deinem eigenen Arbeitsumfeld.


    • 1. Akzeptanz: Es ist, wie es ist

      Bedeutung: Diese Haltung bedeutet, die aktuellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen vorurteilsfrei anzunehmen, ohne vorschnell zu bewerten oder verändern zu wollen. In der Beratung ist es wichtig, die Realität und die Perspektive der Klient*innen oder der Organisation, in die man eingebunden ist, vollständig zu akzeptieren. Nur durch diese Haltung können wir die Situation unvoreingenommen analysieren und wertvolle Erkenntnisse gewinnen.

      Anwendung: Durch Akzeptanz schafft der/die Berater*in eine vertrauensvolle Basis für Zusammenarbeit. Gerade in Projekten, wo kulturelle Unterschiede und wirtschaftliche Rahmenbedingungen den Kontext prägen, ist diese Offenheit unerlässlich, um den/die Klient*in nicht zu demotivieren und den Status quo sachlich zu betrachten.

      2. Perspektivwechsel fördern

      Bedeutung: Die Fähigkeit, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und andere Sichtweisen zu verstehen, ist essenziell, um die Bedürfnisse, Werte und Motivationen der beteiligten Akteur*innen zu erkennen. Perspektivwechsel hilft dabei, neue Möglichkeiten und Lösungen zu entdecken, die auf die unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen der Menschen eingehen.

      Anwendung: In der Beratung hilft der Perspektivwechsel dabei, den/die Klient*in anzuregen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Berater*innen können so helfen, Annahmen zu hinterfragen und Lösungen zu entwickeln, die nicht nur den eigenen Standpunkt, sondern auch den der anderen beteiligten Gruppen berücksichtigen, wie etwa lokale Gemeindemitglieder*innen, Partnerorganisationen oder Behörden.

      3. Sicherheit und Hinterfragen

      Bedeutung: Sicherheit gibt den Beteiligten Raum, ohne Angst vor Fehlern über ihre Herausforderungen zu sprechen. Gleichzeitig ist es wichtig, offen zu hinterfragen und auch schwierige Themen anzusprechen, um eine tiefergehende Problemanalyse zu ermöglichen. Dies schafft Klarheit über die aktuelle Situation und hilft, blinde Flecken und potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen.

      Anwendung: Durch gezieltes, konstruktives Hinterfragen (ohne zu stark zu kritisieren) helfen Berater*innen dem/r Klient*in, sich über die eigenen Ziele, Herausforderungen und unbewussten Annahmen klarer zu werden. In der Entwicklungszusammenarbeit ist dies besonders wichtig, um sicherzustellen, dass Projekte nachhaltig und ressourcenschonend umgesetzt werden.

      4. Nähe und Distanz bewusst steuern

      Bedeutung: Berater*innen müssen eine Balance zwischen Nähe (Einfühlungsvermögen und Engagement) und Distanz (Objektivität und Neutralität) wahren. Zu viel Nähe kann die Objektivität beeinträchtigen, während zu große Distanz das Vertrauen und die Zusammenarbeit schwächen kann. Es gilt, sich bewusst auf die Beziehungsgestaltung einzulassen und dabei die professionelle Distanz zu wahren.

      Anwendung: Berater*innen steuern Nähe und Distanz, indem sie aktiv zuhören und die Perspektive des/der Klient*in verstehen, aber auch klar und sachlich analysieren. In der internationalen Zusammenarbeit, wo kulturelle Nähe und Distanz oft verschieden wahrgenommen werden, ist dies besonders wichtig, um eine produktive Arbeitsbeziehung aufzubauen.

      5. Verantwortung beim Klienten-System

      Bedeutung: Diese Haltung erkennt an, dass die Verantwortung für Veränderungen beim/bei der Klient*in und dessen System (Organisation, Team, etc.) liegt. Berater*innen bieten Unterstützung und Werkzeuge, aber die Umsetzung liegt beim/bei der Klient*in. Nur wenn dieser aktiv Verantwortung übernimmt, können Maßnahmen langfristig erfolgreich sein.

      Anwendung: Berater*innen sollten vermeiden, Lösungen „aufzuzwingen“. Stattdessen unterstützen sie den Klient*innen dabei, selbst tragfähige Lösungen zu entwickeln, die er eigenverantwortlich umsetzen kann. Dies ist besonders wichtig in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen nachhaltig sind und die lokale Selbstbestimmung gefördert wird.

      6. Klare Auftrags- und Rollenklärung

      Bedeutung: Diese Haltung betont die Notwendigkeit einer transparenten Klärung von Rollen und Erwartungen zwischen Berater*in und Klient*in. Es ist wichtig, dass beide Seiten wissen, welche Aufgaben sie übernehmen und wie die Zusammenarbeit gestaltet wird, um Missverständnisse zu vermeiden und ein konstruktives Arbeitsklima zu schaffen.

      Anwendung: Gerade in komplexen, internationalen Projekten ist es unerlässlich, dass die Rollen, Zuständigkeiten und Ziele klar definiert sind. Berater*in unterstützen die Auftragsklärung aktiv, sodass der/die Klient*in sich auf die Zusammenarbeit verlassen kann und auch klar weiß, welche Aufgaben ihm selbst zukommen.

      7. Alles hängt zusammen

      Bedeutung: Diese systemische Haltung erkennt an, dass in einem Beratungskontext alles miteinander verknüpft ist. Probleme und Lösungen haben vielfältige Ursachen und Auswirkungen, die oft nicht sofort sichtbar sind. Es gilt, Zusammenhänge zu analysieren und die Wechselwirkungen im System zu berücksichtigen.

      Anwendung: In der Beratung ermutigen Berater*in den/der Klient*in, nicht isoliert, sondern ganzheitlich zu denken. Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit ist es notwendig, politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Faktoren mit einzubeziehen, um wirkungsvolle und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

      8. Verhalten im Kontext verstehen

      Bedeutung: Diese Haltung unterstützt das Verständnis, dass das Verhalten eines Menschen immer im Kontext seiner Umgebung, Kultur und Erfahrungen steht. Anstatt Handlungen zu verurteilen oder vorschnell zu bewerten, hilft es, sich in die Hintergründe und Beweggründe des/der Klient*in einzufühlen.

      Anwendung: Berater*innen setzen diese Haltung ein, um die Umstände, unter denen der Klient agiert, ganzheitlich zu verstehen. In der internationalen Zusammenarbeit ist dies besonders wichtig, um Handlungen im kulturellen und sozialen Kontext zu deuten und angemessene, einfühlsame Vorschläge zu machen.

      9. Vertrauen in Ressourcen und Fähigkeiten

      Bedeutung: Diese Haltung geht davon aus, dass Klienten selbst über wertvolle Ressourcen und Fähigkeiten verfügen, um Lösungen zu finden. Die Rolle der Berater*in ist es, diese Fähigkeiten zu erkennen, zu fördern und zu nutzen, anstatt ausschließlich eigene Vorschläge zu unterbreiten.

      Anwendung: Berater*innen bringen diese Haltung ins Spiel, indem sie auf die Stärken und Potenziale des/der Klient*innen hinweisen und ihn ermutigen, eigene Fähigkeiten einzusetzen. Dies fördert das Selbstvertrauen und die Eigeninitiative, besonders in der Entwicklungszusammenarbeit, wo langfristig die Selbstbestimmung der lokalen Akteure im Vordergrund stehen sollte.


    • 1. Was motiviert Dich zur Veränderung?
      • Diese Frage hilft, die intrinsische Motivation des/der Klient*in zu erfassen und das Anliegen in den Vordergrund zu stellen.
      2. Was wäre, wenn nichts geschieht?
      • Diese Frage öffnet den Raum für die Betrachtung der Konsequenzen, wenn der Status quo bestehen bleibt.
      3. Woran würdest Du Erfolg erkennen?
      • Diese Frage zielt darauf ab, die gewünschten Ergebnisse und Erfolgskriterien klar zu definieren.
      4. Welche Ansätze hast Du bereits versucht?
      • Diese Frage unterstützt das Verständnis der bisherigen Bemühungen und Lernerfahrungen des/der Klient*in.
      5. Auf einer Skala von 1 bis 10, wo stehst Du derzeit?
      • Mit dieser Frage wird ein Gefühl dafür gewonnen, wie der/die Klient*in den aktuellen Fortschritt einschätzt und wie nahe oder fern er*sie sich dem Ziel fühlt.
      6. Was würde Person X dazu sagen?
      • Diese Frage fördert den Perspektivwechsel und gibt Einblicke, wie andere Personen das Thema wahrnehmen könnten.
      7. Was ist Dein nächster Schritt?
      • Diese Frage richtet den Fokus auf konkrete Handlungsschritte, um eine Richtung und ein realistisches Ziel für die nächste Phase festzulegen.


    • Szenario: Verbesserung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen

      Als Berater*in im Bereich Entwicklungszusammenarbeit arbeitest Du in einem Projekt, das die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten eines afrikanischen Landes verbessern soll. Die bestehenden Angebote – eine kleine Gesundheitsstation und ein Team von mobilen Gesundheitspfleger*innen – werden von der Bevölkerung jedoch kaum genutzt. Viele Menschen bevorzugen traditionelle Heilmethoden oder wissen nicht genau, wie und wann sie die Gesundheitsstation aufsuchen sollen.

      Das Projektteam möchte das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und eine effektivere Gesundheitsversorgung sicherstellen. Dafür planst Du ein Meeting mit dem Projektteam und Vertreter*innen der lokalen Gemeinde sowie des Gesundheitsministeriums, um die bestehenden Herausforderungen zu analysieren und neue Strategien zu entwickeln.


    • Systemische Haltung und darauf abgestimmte Fragen im Beratungsgespräch:

      1. Akzeptanz: Es ist, wie es ist
        • Frage: „Was motiviert Dich und das Projektteam, die Situation zu verbessern?“
          • Hier förderst Du das Bewusstsein dafür, was die Stakeholder antreibt, trotz der Herausforderungen neue Lösungen zu suchen. 
      2. Perspektivwechsel fördern
        • Frage: „Welche Erwartungen und Bedenken hat die Gemeinde möglicherweise in Bezug auf die Gesundheitsstation? Wie könnten wir besser auf sie eingehen?“
          • Diese Frage fördert die Sichtweise der Bevölkerung und zeigt dem Team die Wichtigkeit, lokale kulturelle Überzeugungen und den Hintergrund der Menschen zu verstehen und zu berücksichtigen.
      3. Sicherheit und Hinterfragen
        • Frage: „Was würde passieren, wenn sich an der aktuellen Situation nichts ändert? Welche Konsequenzen hätte das für die Gesundheit der Bevölkerung und das Projekt?“
          • Hier unterstützt Du das Team, mögliche negative Auswirkungen des Nicht-Handelns zu reflektieren, was oft die Dringlichkeit und den Handlungsbedarf verdeutlicht.
      3. Nähe und Distanz bewusst steuern
        • Frage: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie gut erfüllt die Gesundheitsstation aktuell die Bedürfnisse der Bevölkerung? Was wäre notwendig, um die Zufriedenheit um einen Punkt zu erhöhen?“
          • Diese Frage ermöglicht es dem Team, seine Erwartungen und Ziele klar zu formulieren und so die Distanz zur Gemeinde sowie die Wünsche realistisch zu sehen.
      4. Verantwortung beim Klienten-System
        • Frage: „Welche Maßnahmen oder Kommunikationsansätze hast Du bisher ausprobiert, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken, und welche Erfahrungen hast Du damit gemacht?“
          • Diese Frage stärkt das Bewusstsein des Teams für Eigenverantwortung und lässt sie aktiv nach bisherigen erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Maßnahmen reflektieren.
      5. Klare Auftrags- und Rollenklärung
        • Frage: „In welchem Umfang stehst Du und das Beraterteam in der Rolle, Lösungen zu entwickeln? Welche Verantwortung werden lokal selbst übernommen?“
          • Durch diese Frage wird sichergestellt, dass alle Anwesenden die Beratungsrolle und die eigenen Zuständigkeiten verstehen und die Erwartungshaltung geklärt ist.
      6. Alles hängt zusammen
        • Frage: „Welche weiteren Faktoren – wie die Infrastruktur, Bildung oder Traditionen – könnten die Nutzung der Gesundheitsstation beeinflussen?“
          • Diese Frage fördert das Verständnis für systemische Wechselwirkungen und gibt dem Team einen Überblick über andere Einflüsse, die das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen.
      7. Verhalten im Kontext verstehen
        • Frage: „Welche Gründe könnten dazu führen, dass einige Menschen lieber traditionelle Heilmethoden wählen? Was bedeutet das für die Art, wie wir die Gesundheitsangebote präsentieren?“
          • Diese Frage hilft dem Team, das Verhalten der Bevölkerung im kulturellen und sozialen Kontext zu betrachten und so bessere Kommunikationsstrategien zu entwickeln.

      8. Vertrauen in Ressourcen und Fähigkeiten

        • Frage: „Welche Stärken siehst Du in der Gemeinde und im Projektteam, die genutzt werden könnten, um das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung zu erhöhen?“
          • Damit stärkst Du den Glauben an die Ressourcen vor Ort, was oft der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung ist.
      9. Nächste Schritte entwickeln
        • Frage: „Was ist ein erster Schritt, den das Team umsetzen könnte, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitsstation zu stärken?“
          • Diese Abschlussfrage schafft Klarheit über die nächsten konkreten Schritte und gibt dem Team Orientierung, wie sie das Beratungsgespräch in praktische Maßnahmen umsetzen können.


    • Szenario: Verbesserung der Grundbildung in abgelegenen Regionen

      Du arbeitest als Berater*in in einem Projekt zur Verbesserung der Grundbildung in abgelegenen, schwer zugänglichen Regionen eines südostasiatischen Landes. In diesen Gegenden haben Kinder nur eingeschränkten Zugang zu Bildungseinrichtungen, und die Schulen sind oft unterbesetzt oder nicht ausreichend ausgestattet. Die Projektleitung hat sich zum Ziel gesetzt, den Zugang zur Bildung und die Qualität des Unterrichts zu verbessern, stößt jedoch auf strukturelle und kulturelle Hürden, da Bildung nicht immer als Priorität gesehen wird und viele Kinder früh in die Arbeit einbezogen werden müssen.

      Für ein anstehendes Gespräch mit dem Projektteam sowie lokalen Lehrkräften und Gemeindemitgliedern bereitest Du gezielte Fragen vor, um den Beratungsprozess voranzubringen und die Herausforderungen systematisch zu erfassen.


    • Probiere Dich hier doch selbst einmal aus. Nutze die Fragen aus Szenario 1 als Anhaltspunkt